Konjunkturelle Rahmenbedingungen der Stahlrecyclingbranche
Die 10-jährige Wachstumsphase der deutschen Wirtschaft hat bereits 2019 an Schwung verloren. Dieses Jahr haben die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu deren Eindämmung die deutsche Wirtschaft in die mit Abstand tiefste Rezession ihrer Nachkriegsgeschichte gestürzt. Die Stahlrecyclingindustrie trifft diese Krise hart, sowohl auf der Angebotsseite als auch auf der Nachfrageseite. Produktionsstopps in der Autoindustrie im Frühjahr haben weitreichende Folgen auch für die Zulieferbetriebe.
Viele andere Sparten wie der Maschinenbau reagieren ebenfalls mit Betriebsschließungen. Dies führt zu gravierenden Rückgängen bei Neuschrotten. Abbruch und Demontagearbeiten werden ebenfalls häufig zurückgestellt, sodass in der Folge auch der Zulauf von Altschrotten zurückgeht.
Die Corona-Krise hat deutliche Spuren bei der Rohstahlproduktion in Deutschland hinterlassen mit entsprechenden Folgen für den Schrotteinsatz. Im Jahresverlauf bis September 2020 liegt die Stahlerzeugung mit 25,7 Mio.t rund 16% unter dem Vorjahresniveau, das ebenfalls von einer rückläufigen Stahlproduktion gekennzeichnet war. Im Jahresverlauf 2020 erwarten wir die niedrigste Rohstahlerzeugung in Deutschland seit der Finanzkrise. Die Erwartungen der Gießereiindustrie bleiben 2020 auf sehr niedrigem Niveau. Die Produktion ist im ersten Halbjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um gut ein Drittel eingebrochen. Im 3. Quartal waren deutliche Zeichen einer Erholung zu spüren. Die Rohstahlerzeugung hatte wieder Fahrt aufgenommen und nach den Sommerferien waren alle Verbraucher am Markt. Eine Rückkehr des Schrottmarkts zum Niveau vor der Corona-Krise erwartet die Hälfte der befragten BDSV Mitgliedsunternehmen allerdings erst nach 2021.
Durch die Anerkennung der Systemrelevanz der Recyclingbranche zu Beginn der Corona-Krise, sind die Mitgliedsbetriebe von Betriebsschließungen verschont geblieben. Zwar wurde in 56% der befragten Unternehmen Kurzarbeit eingeführt, aber nur in 15% der befragten Unternehmen mussten Mitarbeiter entlassen werden. Neben dem dramatischen Einbruch der Industrieproduktion zählen, wie auch in den Branchenumfragen der vergangenen Jahre, die steigenden Kosten für die Einhaltung von Umweltauflagen zu den drängendsten Problemen, da sie zu Wettbewerbsverzerrungen im internationalen Umfeld führen. Im kommenden Jahr erwartet ein Drittel der befragten Unternehmen eine bessere Geschäftslage als in diesem Jahr. Gut die Hälfte erwartet eine gleichbleibende Geschäftslage. Der Gesamtwirtschaftliche Ausblick ist mit vielen Abwärtsrisiken verbunden. Bestehende Krisenherde wie die Gefahr eines harten Brexits oder die Gefahr einer Eskalation des Handelskonflikts zwischen USA und China wurden während der Corona-Krise nicht entschärft.
Strategische Positionierung der BDSV im Rahmen des Green Deals
Am 11. Dezember 2019 wurde von der neuen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der Green Deal der EU vorgestellt. Die primären Ziele des Green Deals sind, bis 2050 die Netto-Treibhausgasemissionen der EU auf null zurückzuführen, eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren sowie die biologische Vielfalt zu erhalten. Ökologische, wirtschaftliche und soziale Fragen werden zusammen gedacht und für alle Bereiche der Wirtschaft wie Energieversorgung, Handel, Industrie, Verkehr, Finanzen und Land- und Fortwirtschaft Transformationsprozesse konzipiert. Der Begriff Circular Economy der EU ist viel weiter gefasst als der deutsche Begriff Kreislaufwirtschaft, der erst bei Altprodukten einsetzt. Bei der Circular Economy spielt z. B. auch effiziente Rohstoffgewinnung eine wichtige Rolle.
Die BDSV bewertet den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft als positiv, da die Stahlrecyclingbranche bereits heute ein wichtiges Glied in der Wertschöpfungskette ist und lange Erfahrung mit der Kreislaufführung von Rohstoffen hat. Nach einer Prognose von Worldsteel wird die Nachfrage nach klimafreundlichen Stahlschrott bis 2050 deutlich zunehmen. Dabei ist auch mit einem höheren Schrottaufkommen zu rechnen (Aufkommen bei rd. 1.2 Mrd. t.; Abdeckung rund 70 % der Stahlnachfrage).
Für die Abnehmer der Stahlrecyclingbranche, die Stahlwerke, ist die Transformation zu klimafreundlicher Produktion eine Mammutaufgabe, die viel Zeit und enorme Investitionen erfordert. Bei der Dekarbonisierung der Stahlindustrie steht laut Handlungskonzept Stahl der Bundesregierung vom Juli 2020 der Einsatz von Wasserstoff als Reduktionsmittel in der Hochofenroute derzeit im Vordergrund.
Doch bereits heute fällt in Europa mehr Stahlschrott an, als derzeit dort eingesetzt wird. Rund 20 Mio. t Stahlschrott werden jährlich exportiert und tragen somit nicht zum Klimaschutz in der EU bei. Vor dem Hintergrund dieser konkurrierenden Ziele berät die BDSV, gemeinsam mit ihrem europäischen Dachverband EuRIC, die EU-Kommission – zuletzt im Austausch mit dem stellvertretenden Kommissionspräsident Frans Timmermans – auf dem Weg zu einer zirkulären Wirtschaft.
Wichtige Grundlagen der Beratungen sind die beiden international anerkannten BDSV Studien „Zukunft Stahlschrott“ und „Schrottbonus“, die in Zusammenarbeit mit der Fraunhofer Gesellschaft entstanden sind und nun auch in die „Metals Strategy“ der EuRIC Eingang gefunden haben. Insbesondere die im Jahr 2019 vorgestellte Studie „Schrottbonus“ spielt hierbei eine herausragende Rolle. In dieser Studie wird der Schrottbonus als ein Maß für den gesellschaftlichen Wohlfahrtsgewinn eingeführt. Er gibt die Klima- und Umweltkosten an, die durch den Einsatz einer Tonne Schrott bei der Stahlherstellung vermieden werden.
Aus Sicht der BDSV kann, neben den kostenintensiven Technologiesprüngen der Stahlbranche zur Dekarbonisierung, vor allem der verstärkte Einsatz des zum Sekundärrohstoff aufbereiteten Stahlschrotts eine technisch ausgereifte und mit vergleichsweise geringen Investitionen umsetzbare Maßnahme darstellen.
Darüber hinaus zeigt die Studie weitere Instrumente auf, durch die das Stahlrecycling vorgebracht werden kann. Insbesondere im Bereich des komplexen Handels mit Emissionszertifikaten unter Berücksichtigung des Carbon Border Tax Adjustment sieht die BDSV vielversprechende Möglichkeiten. Damit und mit weiteren Mechanismen zur Umsetzung des Schrottbonus wird sich ein neuer BDSV Arbeitskreis zusammen mit dem Autor der Studie, Dr. Frank Pothen vom Fraunhofer IMWS, beschäftigen und im Jahr 2021 Ergebnisse präsentieren.
Grünbuch „Zukunft.Stahl.Rohstoff“
Der Einsatz von klimafreundlichem Stahlschrott auch für die Produktion von Qualitätsstählen wird aus Sicht der BDSV für die Stahlindustrie immer mehr an Bedeutung gewinnen. Viele Ansätze zur Dekarbonisierung der Flachstahlerzeugung sehen vor, dass anstatt wie heute üblich in der integrierten Route, zukünftig im Elektrolichtbogenofen ein Gemisch aus hochwertigem Stahlschrott und aus Eisenschwamm eingesetzt wird. Dabei werden sehr hohe Anforderungen an die zum Einsatz kommenden Schrottqualitäten gestellt, was auch mit höheren Aufbereitungskosten einhergehen wird.
Da es in Deutschland für die Flachstahlerzeugung derzeit kaum prozessbasierte Erfahrung gibt, will die BDSV im Rahmen eines neuen Forschungsprojekts , das den Namen Grünbuchs „Zukunft.Stahl.Rohstoff“ trägt, die Grundlagen für zukünftige rohstoff-effiziente Handlungsoptionen im Wertschöpfungskreis aus Stahlerzeugung, Stahlverarbeitung und Stahlrecycling schaffen.
Weitere aktuelle Themen:
Kreislaufwirtschaftsgesetz
Das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz beinhaltet im Schwerpunkt die Weiterentwicklung hin zu einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft. Der gesetzliche Rahmen der abfallrechtlichen Produktverantwortung wird dabei vollständig neuformuliert. Namentlich ist es nun der Produzent, der durch eine kreislaufwirtschaftsfähige Produktgestaltung zu einer Steigerung des Recyclings beitragen soll.
Die Stahlrecyclingwirtschaft sieht in den neuen Vorschriften eine große Chance, zu einer durchgreifend besseren Trennbarkeit der komplexen Produkte aus Metallen zu kommen. Eine hohe - im Idealfall vollständige - Trennbarkeit der verbauten Metalle wird die Recyclingqualität deutlich verbessern.
Nach Verabschiedung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes erfolgt nun die Detailarbeit, in der die vielfältigen Verordnungsermächtigungen konsequent ausgefüllt werden müssen. Die BDSV wird diesen Prozess aktiv begleiten und mit ihrer Expertise zur Verfügung stehen.
EAG und Batteriebrände
Nach Auffassung der BDSV sind die Sammlung und die Meldung der Mengen der Elektro(alt)geräte ausschlaggebend für ein vollständiges Recycling. Die BDSV begrüßt es daher sehr, dass die Forderung, dass Erstbehandlungsanlagen auch Elektro(nik)-Schrotte annehmen dürfen, nun auch im Referentenentwurf des ElektroG mit aufgenommen wurde. In der Praxis können somit alle zertifizierten Erstbehandlungsanlagen Elektroaltgeräte annehmen, unabhängig davon welche Sammelgruppe die Betriebe verarbeiten. Dies ist aus Sicht der BDSV eine sinnvolle Ergänzung der unentgeltlichen Rücknahme auf freiwilliger Basis. Hierdurch wird es dem Bürger beispielweise ermöglicht, Elektroaltgeräten unabhängig von den Öffnungszeiten der kommunalen Wertstoffhöfe bei unseren Mitgliedsbetrieben abzugeben. Erklärtes Ziel der BDSV ist es, alle Elektrogeräte einem geregeltem Recycling zuzuführen und so gleichzeitig auch Batteriebrände durch unsachgemäße Entsorgung von Elektroaltgeräten zu vermeiden.
Das Thema Vermeidung von Batteriebränden wird für die BDSV Mitgliedsunternehmen immer bedeutsamer, da in der jüngeren Vergangenheit Brände zum Teil erhebliche Schäden in den Betrieben angerichtet haben. Damit Batterien erst gar nicht in den Stoffströmen auftauchen, muss an vielen Stellen im Produktlebenszyklus nachjustiert werden. So hat die BDSV gemeinsam mit dem bvse und dem VDM bereits im Jahr 2019 einen gemeinsamen Leitfaden zur separaten Erfassung von batteriebetriebenen Elektro(nik)-Altgeräten herausgebracht. Dieser wurde von den Kommunen und deren Wertstoffhöfen sehr gut angenommen und auch nachgefragt. Darüber hinaus gibt es Gespräche mit allen Teilnehmern der Wertschöpfungskette - von Hersteller über Handel bis zur Kommune – unter Federführung der stiftung ear. Neben diesen Aktivitäten ist aus Sicht der BDSV die Gesetzgebung und vor allem der konsequente Vollzug von entscheidender Bedeutung.
BDSV intern
Zukünftige Ausrichtung der Fachgruppe Autorückmontage (FAR)
Die Mobilität wird sich in der Zukunft stark verändern. Mit der verstärkten Elektromobilität ist diese Entwicklung bereits jetzt allgegenwärtig. Nach Auffassung der BDSV wird die Rolle der Fachgruppe Autorückmontage (FAR) auch in diesem Kontext in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen. Insbesondere die Anzahl der etwa 500.000 Altfahrzeugen, die in Deutschland jährlich verwertet werden, ist ausbaufähig. Für ihre Mitglieder möchte die FAR in Zukunft noch attraktiver werden, indem sie beispielsweise an Demontagekonzepten für die Zukunft mitforscht. Wichtiges Stichwort ist hierbei IDEA, ein Forschungsprojekt auf EU-Ebene unter Federführung des Fraunhofer Instituts für Lasertechnik ILT, bei dem Forschungseinrichtungen, Verwerter und Hersteller zusammenarbeiten, um eine (teil)automatisierte Demontageplattform für Altfahrzeuge zu entwickeln. Dabei werden innovative Produktionsmethoden und Prozesstechnologien einsetzt, um die Rückgewinnung wertvoller Komponenten zur Wiederverwendung/Wiederaufarbeitung zu verbessern sowie die stoffliche Verwertung als neue Rohstoffquelle zu ermöglichen. Der Projektantrag läuft derzeit, die Fördermittel belaufen sich auf 12 Mio. Euro.
Weiterbildung im Fokus: Neues Institut für Schrott und Metalle (ISM) geht offiziell an den Start
Von der Corona-Krise wurde auch die Umsetzung des Weiterbildungsangebot der BDSV stark beeinflusst. Wenngleich im März 2020 einige Seminare zunächst abgesagt werden mussten, konnten innerhalb kurzer Zeit zahlreiche Seminare online durchgeführt werden. Seit den Sommermonaten fanden auch wieder Präsenztermine statt. Die BDSV hat dabei die aktuelle Corona-Situation stets im Blick und reagiert flexibel auf staatliche Vorschriften.
Neben dem Tagesgeschäft war die Weiterentwicklung des ISM vorrangiges Thema in diesem Jahr. Maßgeblich vorangetrieben wurde sie durch die neue Referentin für Weiterbildung, Eva Alberty. Seit August 2020 hat sich Frau Alberty schwerpunktmäßig mit der gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung der ISM als GmbH, der Gestaltung des Markenauftritts und den Ausbau des Weiterbildungsangebotes, zu dem auch wichtige Kooperationen und Partnerschaften gehören, beschäftigt.
Verband 2.0: Neue Formen der Verbandsarbeit
Die Corona-Krise hat auch die Verbandsarbeit der BDSV grundlegend verändert. Die Mitglieder vermissen zwar den persönlichen Austausch innerhalb der verschiedenen Gremien, aber gerade in der virusbedingten Krise haben sich schnelle Abstimmungen per Videokonferenz und häufigere virtuelle Zusammentreffen der Gremien als hilfreich, effizient und sicher erwiesen. Insbesondere wegen der beiden erstgenannten Vorteile will die BDSV den neuen Medien und der zielgruppenorientierten Kommunikation in Zukunft noch mehr Raum geben. Hierzu leistet auch der Relaunch des neuen BDSV Intranet-Portals „Schrottplatz“, der am 13. Oktober 2020 erfolgte, einen wichtigen Beitrag. Ziel des Verbandes ist, mit diesem Kommunikations- und Kollaborationsportal das Informations- und Kommunikationsangebot für seine Mitglieder weiter auszubauen und dabei individueller und digitaler zu gestalten.
Aufgrund der sich im Herbst 2020 verschärfenden Corona-Situation wird die ursprünglich als Hybrid-Veranstaltung geplante BDSV Jahrestagung am 5.11.2020 nun vollständig digital als Studioaufzeichnung im Live-Betrieb durchgeführt. Damit ist die BDSV einer der wenigen Verbände bundesweit, die auch in Corona-Zeiten für ihre Mitgliedern die jährliche Verbandsversammlung durchführt. Wie in einer Präsenzveranstaltung sind alle Möglichkeiten der Interaktion, wie z. B. Abstimmungen, Fragemodul und Chat, auch digital gegeben.